Der „Umbruch der Zeit“, so das Vorwort der ersten nationalsozialistischen Ausgabe des Reichsmedizinal- kalenders für Deutschland im Mai 1935, hatte „in der Deutschen Ärzteschaft tiefgreifende Wandlungen geschaffen“. Besonders wichtig war der Hinweis, dass die Arbeit „vielfach in andere Hände gelegt“ worden war, wie der Vorgang der Diskriminierung, Entlassung und Ver-folgung aus politischen oder „rassischen“ Gründen nicht erwünschter Menschen verharmlosend umschrieben wurde. Bei „schätzungsweise 10.000 der übrigen Ärzte“ hätten sich die Anschriften „grundlegend“ verändert. Lapidar wird hinzugefügt: „Über 3000 Ärzte sind durch Tod und Auswanderung ausgeschieden“.
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Geleitwort (in: Lautsch, H./Hans Dornedden (Hg.): Verzeichnis der deutschen Ärzte und Heilanstalten. Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland, Teil II (58. Jg.), Leipzig 1937, S. III)
Röntgenuntersuchung, 1933. Eine Röntgenuntersuchung in dem Münchener Krankenhaus links der Isar. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)
Insgesamt konnten bisher die Namen von 165 strahlenmedizinisch ausgebildeten Ärzten und Ärztinnen eruiert werden, die infolge ihrer jüdischen Stigmatisierung diskriminiert, entrechtet und verfolgt wurden (s. Gedenkliste).
Auf dem Gebiet des ärztlichen Berufswesens hatte die Juden diskriminierende, „rassische“ Gesetzgebung mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 20. April 1933 begonnen, das den Ausschluss jüdischer und politisch missliebiger Ärztinnen und Ärzte von Tätigkeiten in Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft bezweckt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt mussten diejenigen Mediziner und Medizinerinnen aus Deutschland emigrieren, die aufgrund ihres jüngeren Berufsalters gezwungen waren, den Arztberuf als Lebensunterhalt und Broterwerb auszuüben.
Auszug aus Lautsch, H./Hans Dornedden (Hg.): Verzeichnis der deutschen Ärzte und Heilanstalten. Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland,
Teil II (58. Jg.), Leipzig 1937, S. 102
Der Schritt in die Emigration bedeutete für viele ein Wagnis, das besonders in der Anfangszeit im Exilland nicht nur mit dem Verlust sozialer Kontakte verbunden war, sondern oft genug auch mit materiellen Einbußen, weil Examen nicht anerkannt und Prüfungen wiederholt werden mussten, von der bis Oktober 1941 erhobenen „Reichsfluchtsteuer“ ganz zu schweigen.
Nach dem gegenwärtigen Wissensstand waren es 77 deutsche Röntgenologen/Radiologen (unter ihnen auch vier Frauen), die diesen Weg in das Ausland gewählt hatten. Der Anteil der während der NS-Zeit emigrierten strahlendiagnostisch oder -therapeutisch tätigen Kollegen an der Gesamtzahl der jüdisch stigmatisierten Mediziner der strahlenmedizinischen Fächer lag damit bei rund 47 Prozent.
Wartesaal – Auswanderungsberatung des jüdischen Hilfsvereins
(bpk/Abraham Pisarek)